Lieber Dieter,
angesichts von Alfreds prägnanten Aufräumversuchen, fehlt mir fast der Mut, den Pauker in mir noch einmal zu beschäftigen, trotzdem riskiere ich es, weil mein Text schon seit gestern fertig ist und eigentlich vor Alfreds hilfreicher Einlassung entstand: Ich befinde mich ja derzeit nicht zuhause, sondern in Dolbys Geburtsstadt und damit nicht nur ab vom Schuss, sondern auch nur zeitweise im Bereich brauchbarer Internetzugänge. Ich sehe von der Aktualisierung meines letzlich nicht mehr restlos aktuellen Beitrags ab. Alfred, DIeter und potenziell Interessierte werden mir diese Umstände nachsehen:
Zunächst einmal müssen wir auch beim Telcom aufmerksam und bewusst zwischen Aufnahmeeinschub (Kompressor) und Wiedergabeeinschub (Expander) unterscheiden. Du sprichst in deiner letzten Stellungnahme einmal vom "Kompressor" und dann im Gegensatz dazu vom "Kompander"; das ist als Gegensatzpaar aber unzutreffend. Der "Kompander" bezeichnet das Gesamtsystem über Kodierung und Dekodierung, während der Kompressor allein die Aufnahmeeinheit benennt.
Wo dein Verständnisproblem wirklich liegt, wäre nur durch eine längere Diskussion mit dir und dem dabei erfolgenden Abklopfen deiner bereits vorliegenden Sachkenntnis eindeutig möglich. So, wie sich die Sache für mich jetzt ansieht, liegt dein Problem aber wahrscheinlich in einer unseligen Anwendung des dB-Maßes. Du wirfst in deiner Beschreibung nämlich durchaus nicht 'uncharakteristisch' (= derlei passiert[e] öfter und vor allem auch anderen) absolute und relative Pegel durcheinander, was dann fast zwangsläufig und keineswegs auf dich beschränkt in Verwirrung enden muss. Hier gleichsam mehrgleisig denken(und rechnen!) zu lernen, gelang so manchem Kollegen über ein Berufsleben hin nicht.
Das dB-Maß ist ein Verhältnismaß und gibt daher immer die Relation eines erfassten zu einem anzugebenden(!) Referenzwert an. Du aber argumentierst ohne nähere Angaben zwischen der in dB eingeteilten Systemkennlinie und der absoluten Ausgangsspannung im steten Wechsel, ohne absolute (das wären z. B. deine +2 dBu) und relative Pegel (also der internenen Systemkennlinie) säuberlich auseinanderzuhalten. Würdest du definitiv zwischen dBu (dB auf Bezugsbasis 0,775 V) und einer ebenfalls in dB angegebenen, aber von zu wählender Eingangs- bzw. Ausgangsspannung eines Gerätes unabhängigen, weil prinzipiellen Systemkennlinie unterscheiden (können???, hier hakt es bei meiner Einsicht in deinen bereits erworbenen Sachverstand), wäre wahrscheinlich bereits der erste und entscheidende Schritt auf die Beseitigung deines Denkfehlers hin getan.
Ersatzweise sollte angesichts deines Verständnisproblems anschaulicher mit Pegelabsolutwerten (in Volt oder Millivolt) argumentiert werden, um beim Jonglieren mit den verschiedenen dB-Werten nicht doch in den Wald zu geraten. Dieses Problem ist ja keineswegs trivial, sondern ein ziemlich fallstrickreiches Terrain, auf dem sich schon manch anderer vergaloppiert hat (siehe unten!).
Nun aber unmittelbar zu deinem Problem:
Die dB-linear verlaufenden, also im Gegensatz zum Dolby A geraden Betriebskennlinien von Aufnahme- und Wiedergabetelcom sind als Folge der sachbedingten, gegenseitigen Kompensation gegeneinander angewinkelt, müssen sich also 'irgendwo' kreuzen. Dieses "Irgendwo" legt man auf 'einen' internen 'Nullpunkt', den man als "0 dB" definiert. Auf welchen Eingangs- bzw. Ausgangspegel diese "0 dB" zu liegen kommen, kann von anderen Bedürfnissen abhängig gemacht werden, an der grundsätzlichen Funktion des Systems ändert sich dadurch nichts. Oberhalb und unterhalb dieses Pegels wird aufnahmeseitig gleichermaßen komprimiert wie wiedergabeseitig expandiert. Bedenke aber, dass wir -im dB-Maßstab- oberhalb jenes System-Bezugspegels 'positive' und unterhalb negative dB-Werte haben, deren unterschiedliche Vorzeichen als ein mathematisch/physikalisch Unterschiedlich aussehender Vorgang in die Behandlung des Systemeingangssignales eingehen.
Also:
-60 dB unter SYSTEM-Bezugspegel werden am (Aufnahme-)Systemausgang (NICHT notwendigerweise Einschubausgang!!!) zu -40 dB, -30 dB zu -20dB. Geraten wir über den Systembezugspegel hinaus, den wir willkürlich als 0 dB bezeichnet haben, so werden 6 dB über Systembezugspegel zu + 4 dB und 9 dB über Systembezugspegel zu + 6 dB. Beim Wiedergabevorgang (Expander) verläuft dies natürlich umgekehrt.
In einem nächsten Schritt ordnen wir nun dem Systembezugspegel, den wir willkürlich mit "0 dB" bezeichnet haben, für die Kommunikation mit der Peripherie einen definitiven absoluten Pegel zu, den wir weitgehend nach unseren Bedürfnissen einrichten können, ohne die grundsätzliche Funktion des Systems zu beeinträchtigen. Genau hier setzt das vom ORF in Valsis Besitz gelangte Telcom an, dessen Aufnahmeeinschubs-Eingangsspannung im Bezugspunkt des Telcom auf 1,55 V (entsprechend + 6 dBu) festgelegt, während die Aufnahmeeinschubsausgangsspannung auf 0,96V (entsprechend + 2 dBu) eingerichtet wurde. Die 1,55V/514nWb/m-Bandmaschine erhält also bei nomineller (aber problemlos und zulässigerweise überschreitbarer!) Vollaussteuerung über Telcom nur 0,96 V Eingangsspannung, wird also letztlich 4 dB niedriger ausgesteuert als ohne Telcom, oder anders ausgedrückt: Der Telcomaufnahmeeinschub wird bezüglich der Eingangsempfindlichkeit und seiner Ausgangsspannung unterschiedlich eingestellt, da die "0 dB" der Systemkennlinie mit 1,55V am Eingang und 0,96 V am Ausgang korrelieren.
Beim Wiedergabeeinschub ist das natürlich umgekehrt, weil die ursprünglichen Pegelverhältnisse wiederhergestellt werden müssen: Die Bandmaschine gibt 0,96V bei nomineller VA ab, die den "0 dB" der Systemkennlinie entsprechen. Die Eingangsempfindlichkeit des Wiedergabeeinschubes ist daher im Systembezugspunkt auf 0,96V einzurichten, während die gleichzeitig abgegebene Telcomausgangsspannung (zur Kommunikation mit der Studioperipherie) 1,55 V beträgt. Nimmt man die in der Regel 1:1 arbeitende Bandmaschine aus dieser Anlage heraus und ersetzt sie durch eine durchgängige Verbindung zwischen beiden Telcoms, so muss sich ein einwandfrei arbeitendes System ergeben.
Abschließend weise ich nochmals darauf hin, dass das Telcom bei Aufnahme grundsätzlich und über den gesamten Arbeitsbereich hin komprimiert und bei Wiedergabe expandiert. Darin unterscheidet es sich von Ray Dolbys seit Dolby-A-Zeiten gängigen Lösungen, die aus keineswegs unverständlichen Gründen gekrümmte Kennlinien einsetzen, die erst bei niedrigen Pegeln wirksam werden. Oberhalb dieses Bereiches bleibt das Signal bei ihm im Grunde unverändert.
Den von Alfred angesprochenen Funkschau-Aufsatz des Telcom-Konstrukteurs JÜrgen Wermuth anlässlich der Markteinführung von Telcom 1976 (2,5 MB-PDF) lasse ich dir nach Mitteilung deiner Mailadresse gerne zukommen, auch wenn darin die DOLBY(!!)-Kennlinien falsch herum gezeichnet sind. Interessanterweise scheint dies dem ja nun fraglos fach- und sachkundigen Wermuth bzw. seinen Adlaten weiland nicht aufgefallen zu sein, obgleich die (Dolby-) Systemcharakterisierung im Text völlig korrekt erfolgt. Vielleicht liegt das aber daran, dass dieser Fehlgriff im Hause Telefunken, das der erste Vertreiber des Dolby-A-Systems in Deutschland war, durchaus Tradition hat: Im ersten Aufsatz aus diesem Hause zum "Dolby-Stretcher" (8. Tonmeistertagung 1969 bzw. Fernseh- und Kinotechnik 1970, Heft 4) löste Klaus Bertram nämlich wohl durch eine missverständliche Grafik dieses Missgeschick aus, das im TMT-Vortrag nicht auftreten konnte, weil Bertram die zutreffende, im Zeitschriftenaufsatz aber sehr viel später kommende Grafik gleich nachschob.
Derlei sollte einem als Fachmann zwar und vor allem bei einem Neuaufsatz nicht passieren, rutschte aber offensichtlich in beiden Fällen durch sämtliche Lektorierungen und Korrekturen hindurch.
Last but not least: Meine beiden Fremdforenverweise wollten nicht dein nun behandeltes Verständnisproblem angehen, sondern lediglich das 'Setup' beschreiben, das in deiner Beschreibung -wohl aufgrund deines Verständnisproblems- erheblich von der 'gemeinten' Form abwich.
Hans-Joachim